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«Wieso sollte jede Schule das Rad neu erfinden?»

Im Sommer 2023 startet die neue kaufmännische Grundbildung. Im Kanton Bern gehen die Berufsfachschulen bei der Einführung gemeinsam vor. Wie sieht der «Berner Weg» aus? Im Gespräch: Peter Kaeser, Direktor WKS KV Bildung.

Die kaufmännischen Berufsfachschulen des Kantons Bern gehen bei der Einführung der kaufmännischen Grundbildung gemeinsam vor. Warum?
Wir haben es mit einer tiefgreifenden Reform zu tun. Mit dem gemeinsamen Vorgehen setzen wir einen kantonalen Standard, bringen Stabilität ins System und nutzen Synergien. Der Kanton fordert, unterstützt und schätzt die aktive Zusammenarbeit der Schulen.
 
Was beinhaltet der sogenannte Berner Weg? Was wird einheitlich geregelt?
Wir sind auf drei Feldern gemeinsam unterwegs. Feld eins: Wir entwickeln einen kantonalen Schullehrplan und teilen die zeitliche Organisation der Wahlpflichtbereiche gleich ein. Feld zwei: Wir stimmen die Aufteilung der Lerninhalte auf die Lehrpersonen ab. Feld drei: Wir erarbeiten gemeinsam interdisziplinäre Handlungskompetenzaufträge.

Betrachten wir die drei Felder im Detail. Welche Vorteile bringt der kantonale Lehrplan?
Es gibt verschiedene Wege, die Reformen umzusetzen. Den Berner Schulen ist ein einheitlicher Standard beim Lehrplan wichtig. Das erleichtert die Lernortkooperation – was insbesondere Lehrbetriebe entlastet, die an mehreren Standorten Lernende beschulen lassen. Ein einheitlicher Lehrplan ist zudem die Voraussetzung, um Handlungskompetenzaufträge gemeinsam zu erarbeiten.

Was ist mit der Aufteilung der Lerninhalte auf die Lehrpersonen gemeint?
Die kaufmännischen Berufsfachschulen vollziehen den Wechsel vom fächer- zum handlungskompetenzorientierten Unterricht. Das bedeutet: Künftig arbeiten Fachlehrpersonen verschiedener Disziplinen mit den Lernenden an denselben Handlungskompetenzen. Weil einzelne Aspekte – bspw. Projektmanagement – genauso gut von einer Lehrperson für Kommunikation als auch von einer Lehrperson für Wirtschaft oder Technik vermittelt werden kann, müssen diese inhaltlichen Schnittstellen geklärt werden. Das gibt den Lehrpersonen Sicherheit und erleichtert ihnen ggf. den Wechsel von der einen an die andere Schule. Zudem ermöglicht es die Zusammenarbeit bei der Weiterbildung.

Die Berner Schulen entwickeln auch die interdisziplinären Handlungskompetenzaufträge gemeinsam. Welche Vorteile bringt das?
Die Erarbeitung von Handlungskompetenzaufträgen ist anspruchsvoll und zeitintensiv. Wieso sollte jede Schule das Rad neu erfinden? Die Zusammenarbeit entlastet alle, insbesondere aber die Lehrpersonen. Und sie bringt ein gemeinsames Verständnis, was «Handlungskompetenzorientierung» bedeutet und wie sie umgesetzt wird. Gleichzeitig steigern wir die Qualität, indem wir Know-how und Erfahrungen bündeln und alle von den Feedbacks und von der schrittweisen Weiterentwicklung der Aufträge profitieren. Nicht zuletzt: Die gemeinsame Entwicklungsarbeit etabliert eine Tradition der Zusammenarbeit, die ausbaubar ist.

Sie stützen sich bei der Entwicklung dieser Aufträge auf die Handlungsbausteine der Trägerschaften SKKAB und IGKG Schweiz. Warum?
Diese Handlungsbausteine bilden eine wichtige Grundlage für das Zusammenwirken der drei Lernorte. Wir verstehen sie als roten Faden, der alle verbindet. Da die Handlungsbausteine der Trägerschaften – also die Lernmedien für den berufskundlichen schulischen Unterricht – nicht an bestimmte Lehrmittel für die allgemeine schulische Bildung gebunden sind, bleiben die Schulen in dieser Hinsicht frei.

Die Berner Schulen legen die Wahlpflichtbereiche 1 und 2 im ersten Semester zusammen. Warum?
Wir wollen Lehrbetrieben und Lernenden Gelegenheit geben, vor dem Entscheid über den Wahlpflichtbereich Erfahrung mit der neuen kaufmännischen Grundbildung zu sammeln. Nach sechs Monaten sind die Stärken und Interessen der einzelnen Lernenden bekannt. Das ermöglicht einen fundierten Entscheid, bei dem wir gerne beratend zur Seite stehen.

Welche Vorteile haben Lernende und Lehrbetriebe vom Berner Weg?
Die schulische Vorbereitung auf das Qualifikationsverfahren ist an allen Schulen weitgehend identisch. Allfällige Überschneidungen zwischen Aufträgen an den drei Lernorten können rasch behoben werden. Zudem erleichtert das identische Vorgehen im Wahlpflichtbereich die Rekrutierung und Begleitung der Lernenden.

Können auch Berufsfachschulen ausserhalb des Kantons vom Berner Weg profitieren?
Die Berufsfachschulen sind über nationale Strukturen miteinander verbunden und haben eine Austauschplattform für «Best Practice»-Beispiele. So lernen alle voneinander.

Wäre es nicht besser, die Reform schweizweit einheitlich umzusetzen?
Entscheidend ist, dass alle Schulen einen schweizweit identischen Level erreichen. Das wird über das einheitliche Qualifikationsverfahren sichergestellt. Die Wege dorthin dürfen durchaus unterschiedlich ausgestaltet werden. Gleich wie die Zusammenarbeit ist auch eine gewisse Autonomie der Schulen eine Ressource. So entstehen unterschiedliche Schulkulturen, die sich gegenseitig befruchten. Zudem fördert Autonomie bzw. Lehrfreiheit die Motivation der einzelnen Akteurinnen und Akteure.

Interview: Rolf Marti

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