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«Wir geben unser Know-how gerne weiter»

Jüngst wurde in Westschweizer Medien Kritik an der Einführung der neuen kaufmännischen Grundbildung laut. Luca Pession nimmt dazu Stellung. Er ist Direktor der Kaufmännischen Berufsfachschule Freiburg und seit März Präsident der Schweizerischen Konferenz Kaufmännischer Berufsfachschulen (SKKBS).

Luca Pession, mit welchen Ambitionen haben Sie Ihr Amt als SKKBS-Präsident angetreten?

Ich möchte in erster Linie die gute Arbeit der letzten Jahre weiterführen und darüber hinaus den «Esprit latin» einbringen … (lacht).

Was verstehen Sie darunter?
Vielleicht tickt die Romandie in einigen Punkten etwas entspannter als die Deutschschweiz. Sie setzt mehr auf informelle Kontakte und die kollegiale Zusammenarbeit auf Augenhöhe.

Zurzeit läuft die Einführungsphase der neuen kaufmännischen Grundbildung. Wie ist der Stand an Ihrer Schule in Freiburg: alles auf Kurs für den Start?
Ja. Die Lehrpersonen wissen, was sie erwartet und was sie ab Sommer 2023 tun müssen. Wir thematisieren die Reform seit 2018 und haben die Lehrpersonen stets in die Prozesse einbezogen. Klar werden wir Fehler machen. Aber wir pflegen eine offene Fehlerkultur. Das heisst: Wir lernen daraus. Die guten Erfahrungen, die unsere Schule bei der Einführung der Reformen in den Berufen des Detailhandels gemacht haben, stimmen mich auch für die Einführung der neuen kaufmännischen Grundbildung zuversichtlich.

In Westschweizer Medien haben Lehrpersonen jüngst deutliche Kritik an der Reform geäussert. Hat Sie das überrascht?
Jeder Change-Prozess löst zunächst Befürchtungen aus. Das verstehe ich. Was ich nicht verstehe: Wieso kommt die Kritik erst jetzt – also zu spät? Die Bildungsverordnung und der Bildungsplan wurden im August 2021 verabschiedet. Daran lässt sich nichts mehr ändern.

Wie erklären Sie sich diese späte Reaktion?

Wenn Lehrpersonen erst jetzt Kritik anbringen, muss ich annehmen, dass sie von ihrer Schule spät informiert und zu wenig in den Prozess einbezogen worden sind. Die Schweizerische Konferenz der kaufmännischen Ausbildungs- und Prüfungsbranchen SKKAB – sie ist Trägerin der kaufmännischen Grundbildung – und die SKKBS haben offen, regelmässig und rechtzeitig über die Neuerungen informiert.

Betrachten wir die Kritiken – die sich nicht nur gegen die Reform, sondern auch gegen die Umsetzung richten – im Detail. In Le Temps wurde eine Lehrperson mit der Aussage zitiert, die Reform bedeute «Das Ende des kritischen Denkens». Diese Kritik zielt auf die Einführung von Handlungskompetenzen. Können Sie die Aussage nachvollziehen?

Nein. Ein kritischer Geist entwickelt sich durch die engagierte Auseinandersetzung mit Gesellschaft und Wirtschaft. Diese findet im Rahmen der neuen kaufmännischen Grundbildung statt – auch wenn keine Literatur unterrichtet wird, was wohl der Hintergrund für diese Aussage ist. Neu knüpfen wir konsequent am Berufsalltag der Lernenden an. Wir greifen auf, was sie am Arbeitsplatz erleben. Das ist mit «Handlungskompetenzorientierung» gemeint. Dabei betrachten wir die Dinge durchaus kritisch. Diese Herangehensweise erachte ich als nachhaltiger als die rein theoretische Auseinandersetzung mit einem Thema.

Eine weitere Aussage einer Lehrperson lautete: «Mein Beruf ist verschwunden». Der Vorwurf zielt darauf, dass Lehrpersonen künftig vermehrt die Rolle des Lerncoachs ausüben werden.
Dieser Rollenwechsel findet statt und verändert die Identität der Lehrpersonen. Sie sind nicht mehr diejenigen, die vor der Klasse stehen, sondern diejenigen, die den Lernprozess der Lernenden steuern und begleiten. Dieser Identitätswechsel ist einschneidend und muss von den Schulen begleitet werden. Wir müssen aufzeigen, dass das Wissen der Lehrpersonen nach wie vor gefragt ist, dass die Art und Weise der Vermittlung aber eine andere ist. Ich bin überzeugt, dass der Lehrberuf dadurch interessanter wird. Die Lehrpersonen müssen sich aber auf diese neue Rolle einlassen. Das bedingt Offenheit.

Die Allgemeinbildung wird also in ihrer Bedeutung nicht geschmälert?

Sie ist im gleichen Umfang wie bisher im Rahmenlehrplan verankert. Das haben die Eidgenössische Hochschule für Berufsbildung und die Pädagogische Hochschule Zürich bestätigt. Weil die neue kaufmännische Grundbildung keine Fächer mehr kennt, ist die Allgemeinbildung aber weniger fassbar.

Ein weiterer Vorwurf: Der Anschluss an die Berufsmaturität und an die Bildungsgänge der höheren Berufsbildung seien gefährdet.

Auch das muss ich zurückweisen. Bei der berufsbegleitenden Berufsmaturität (BM1) ändert sich nichts. Bei der nachgelagerten Berufsmaturität (BM2) wird der Lehrplan bis 2026 an die neue kaufmännische Grundbildung angepasst. Dann treten die ersten nach neuen Vorgaben ausgebildeten Kaufleute in die BM2 ein. Was die höhere Berufsbildung betrifft: Auch dort sehe ich keine Probleme. Im Gegenteil: Neu können die Lernenden im dritten Lehrjahr mit den «Optionen» einzelne Handlungskompetenzbereiche vertiefen: Finanzen, Technologie, Kommunikation in der Landessprache oder in einer Fremdsprache. So bereiten sie sich optimal auf einen weiterführenden Bildungsgang vor.

Ein letzter Kritikpunkt: Fünf Monate vor Start seien weder die Lehrpläne bekannt noch die Lernmedien verfügbar. Stimmt das?
Die nationalen Lehrpläne für die dualen Schulen sind seit Oktober 2021 bekannt, jene für die Vollzeitschulen seit Juli 2022. Und die Lernmedien der «Commission romande d’évaluation des moyens d’enseignement pour la formation professionnelle» stehen seit Mitte November 2022 bereit.

Sie weisen die meisten Vorbehalte zurück. Aber an einigen Berufsfachschulen gibt es offensichtlich Umsetzungsprobleme. Was ist zu tun?

Diese Schulen können sich bei der SKKBS melden. Wir geben unsere Erfahrungen und unser Know-how gerne weiter. Auch das Nationale Koordinationsgremium (NKG) für die Umsetzung der Reform unterstützt. Es bietet für Schulen Schulungen, Webinare und Coachings an.

Interview: Rolf Marti

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