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Interview: Berufe im Wandel

Die Digitalisierung verändert die Arbeitswelt. Wie geht die Berufsbildung damit um? Dieser Frage geht der Berufsbildungsbrief des Kantons Bern nach – auch am Beispiel des kaufmännischen Berufsfelds.

In einem Interview diskutieren Roland Hohl (SKKAB) und Sven Sievi (Bildung Detailhandel Schweiz), wie sich die Digitalisierung auf ihre Berufsfelder auswirkt, was das für den Kompetenzerwerb der Lernenden bedeutet und welche Antworten die Reformprojekte «Kaufleute 2022» und «verkauf 2022+» auf die Herausforderungen der Zukunft liefern. Sie sagen auch, wie sich die Reformen auf die drei Lernorte auswirken werden. Dabei wird klar: Die beiden Reformvorhaben haben viele Parallelen und verfolgen weitgehend identische übergeordnete Ziele.

«Wie genau unsere Berufsfelder in zwanzig Jahren aussehen werden, lässt sich nur erahnen», sagt Roland Hohl, Geschäftsleiter der Schweizerischen Konferenz der kaufmännischen Ausbildungs- und Prüfungsbranchen (SKKAB).
«Letztlich geht es bei unseren Reformen um eine Evolution, nicht um eine Revolution», sagt Sven Sievi, Geschäftsführer Bildung Detailhandel Schweiz (BDS).

Das Interview wurde von Rolf Marti für den Berufsbildungsbrief geführt.

Digitalisierung
«Wir müssen die Lernenden auf den Umgang mit Veränderungen vorbereiten»

Die Digitalisierung verändert die Arbeitswelt – und damit die Berufsbildung. Das stellt zwei der drei meistgewählten Lehrberufe vor Herausforderungen: die Kaufleute und die Detailhandelsfachleute. Wie sieht ihre Zukunft aus? Darüber diskutieren die Vertreter der Trägerschaften der beiden Berufe, Roland Hohl* (Kaufleute) und Sven Sievi** (Detailhandelsfachleute).


Beginnen wir mit der Gretchenfrage: Gibt es in zwanzig Jahren noch Kaufleute und Detailhandelsfachleute?

Sven Sievi: Ja, aber der Beruf wird ein anderer sein. Stationärer Handel und Onlinehandel wachsen zusammen. Deshalb müssen Detailhandelsfachleute künftig beide Bereiche beherrschen und über alle Kanäle mit den Kundinnen und Kunden interagieren können.

Roland Hohl: Auch Kaufleute wird es weiterhin geben – weniger in der Administration, umso mehr im Schnittstellenmanagement. Kaufleute von morgen handeln in agilen Arbeits- und Organisationsformen, interagieren in einem vernetzten Arbeitsumfeld und arbeiten mit neuen Technologien.


Die Digitalisierung setzt Ihren Berufsfeldern zu: virtuelle Schalter und automatisierte Bestellprozesse, Onlineshopping und Selfscanning. Hand aufs Herz: Für Kaufleute und Detailhandelsfachleute bleibt immer weniger Arbeit.

Sven Sievi: Unsere Berufsfeldanalyse zeigt, dass sich primär die Tätigkeitsfelder verschieben – Richtung Digitalisierung einerseits und Richtung Kundenorientierung andererseits. Die Leute bewegen sich vermehrt im Internet und suchen gleichzeitig im stationären Handel das Verkaufserlebnis. Shoppen soll Spass machen. Die Aufgabe künftiger Detailhandelsfachleute wird es sein, im stationären Handel Einkaufserlebnisse zu schaffen.

Roland Hohl: Auch die Ergebnisse unserer Berufsfeldanalyse zeigen, dass den Kaufleuten die Arbeit nicht ausgehen wird. Routinearbeiten werden aufgrund der Digitalisierung eher verschwinden, an ihre Stelle treten vermehrt kommunikative und organisatorische Aufgaben. Generell lässt sich sagen, dass sich – in Kombination mit weiteren Megatrends – erhöhte Anforderungen an das Ausbildungsniveau und die Berufserfahrung ergeben.


Was bedeuten das für die Berufsbildung?

Roland Hohl: Wie genau unsere Berufsfelder in zwanzig Jahren aussehen werden, lässt sich nur erahnen. Deshalb müssen wir die Lernenden primär auf den Umgang mit Veränderungen und auf das lebenslange Lernen vorbereiten.

Sven Sievi: Wir müssen sie befähigen, ihre praktischen Erfahrungen in immer neue Arbeitssituationen zu übertragen und sich eigenständig neue Kompetenzen anzueignen. Das erreichen wir, indem wir ihnen zukunftsgerichtete Handlungskompetenzen vermitteln.


Was sind zukunftsgerichtete Handlungskompetenzen?

Sven Sievi: Ein Beispiel: Weil immer mehr Elemente des Verkaufsprozesses digital ablaufen, benötigen Detailhandelsfachleute Medienkompetenz. Dabei geht es nicht primär darum, dass sich die Lernenden mit spezifischen Programmen vertraut machen, sondern darum, dass sie ein Verständnis für die Funktionsweise und die Anwendung digitaler Medien im Verkaufsprozess entwickeln. Solche Kompetenzen lassen sich in künftige Entwicklungen übertragen.

Roland Hohl: Das setzt voraus, dass Lehrbetrieb, überbetrieblicher Kurs (ÜK) und Berufsfachschule enger und besser aufeinander abgestimmt zusammenarbeiten als heute, dass Schule und ÜK die Kompetenzentwicklung am Lernort Betrieb optimal unterstützen.


Wie kommen Ihre Reformprojekte bei den Lehrbetrieben an?

Roland Hohl: Mit der Orientierung an Handlungskompetenzen rückt die Ausbildung näher an die Praxis. Deshalb stehen die Lehrbetriebe der Reform positiv gegenüber. Viele möchten gar, dass es schneller geht. Entscheidend ist, dass wir das heutige gute Kosten-Nutzenverhältnis nicht gefährden und bewährte Umsetzungsinstrumente für die Betriebe so weiterentwickeln, dass sie die Kompetenzentwicklung gezielt unterstützen.


Wie sieht es bei den Berufsfachschulen aus: Ziehen sie mit?

Sven Sievi: Sie sind von der Orientierung an Handlungskompetenzen am stärksten betroffen, weil künftig keine Fächer mehr unterrichtet werden. Das Wissen wird entlang der definierten Handlungskompetenz vermittelt – Sprachen beispielsweise im Rahmen des Handlungskompetenzbereichs «Gestalten von Kundenbeziehungen». Die Lehrpersonen müssen daher vermehrt interdisziplinärer zusammenarbeiten. Das bedingt, dass sie entsprechend geschult werden. Aber wir spüren auch bei den Schulen eine grosse Offenheit. Letztlich geht es bei unseren Reformen um eine Evolution, nicht um eine Revolution.


Zurück zum Anfang: Was sagen Sie Eltern, die heute zweifeln, ob sie ihren Kindern zu einer kaufmännischen Lehre oder einer Lehre im Detailhandel raten sollen?

Sven Sievi: Im Detailhandel steht der Mensch im Zentrum. Das wird so bleiben. Wer in unserem Berufsfeld eine Grundbildung macht, trainiert täglich den Umgang mit Menschen sowie die Arbeit im Team. Diese Kernkompetenzen sind eine gute Basis für jegliche berufliche Entwicklung.

Roland Hohl: Wir machen die Lernenden im Rahmen der kaufmännischen Grundbildung fit für die Veränderungen in Wirtschaft und Gesellschaft. Egal was die Zukunft bringt: Kaufleute sind darauf vorbereitet.

 

*) Roland Hohl ist Geschäftsleiter der Schweizerischen Konferenz der kaufmännischen Ausbildungs- und Prüfungsbranchen (SKKAB)

**) Sven Sievi ist Geschäftsführer Bildung Detailhandel Schweiz (BDS)

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